Als ich zweihundert Meter unter dem Sertigpass einer braungebrannten Frau mit Ihren zwei Söhnen begegne, offenbart sie mir, dass der Sertigpass nicht für’s Mountainbike gemacht ist. Und jo: da hat sie schon recht, vor allem anfangs Juli und mit Gepäck.
Aber der Reihe nach: Beim Start in Davos um halb drei Uhr ahne ich schon, dass ein Pass auf über 2700 m im Juli spannend werden könnte: Der erste Blick Richtung Sertig bei Clavadel zeigt noch viel Schnee.

Nach dem Trail von Clavadel hin zum Sertigdörfli beginnt’s dann langsam ein wenig steiler zu werden. Bis etwa auf 2200m kann ich noch fahren, nachher wird’s mir zu steil.
Kurz danach folgen schon die ersten Schneefelder. Die sehen einfacher aus als sie sind: Mein Bike hält überhaupt keine Spur im Schnee und möchte immer bergab. Deshalb muss ich mein Surly vorne anheben. Zudem ist mein Halt im Schnee mit meinen FiveTen auch nicht überwältigend.

‘Es isch en cheibä Chrampf’: Für die letzten 200 hm brauche ich tatsächlich fast eine Stunde. Nach sehr kurzen Abständen muss ich Halt machen um wieder zu Atem zu kommen.
Ein Bergläufer kommt entgegen gerannt, beim Gruss ein Schmunzeln im Gesicht angesichts meiner Strapazen mit dem Bike: Recht hat er!
Oder doch nicht?
Als ich dann abends um halb acht auf dem Sertigpass ankomme ist die Sicht schlicht überwältigend. Zudem mischt sich auch noch ein bisschen Stolz ein, den Pass auf 2739 m doch noch geschafft zuhaben.

Wie so oft in den Abendstunden ist die Sicht und die Stimmung einfach berauschend! Das ist einer der grössten Pluspunkte beim Bikepacking: Man zieht die Morgen- und Abendstunden voll rein!
Sau kalt zwar: es weht ein starker Wind. Lange geniessen kommt nicht in Frage, zudem muss ich noch einen Zeltplatz finden, wo ich mir nicht gleich alles abfriere, also muss noch einiges an Höhe vernichten werden.
Kesch
Den Weg Richtung Val dal Tschüvel finden und mit genügend Sicherheitsmarge hinunterfahren: Hier oben bin ich alleine und Handy-Empfang ist nur auf dem Pass oben gegeben: Im Zweifelsfalle also kurz absteigen und nichts riskieren. Nebst Schneefeldern (meistens unfahrbar) machen diverse überflutete Passagen die Sache doch ein bisschen schwieriger; es scheint hier alles im Wasser zu ertrinken. Hoffentlich ist da nicht noch ein reissender Bach im Weg! Aber es geht erstaunlich gut, fast alles ist fahrbar. Jetzt bin ich echt froh, habe ich am morgen noch zusätzlich Luft in meine Reifen gepumpt, bei diesen Steinen und Stufen hätte ich sonst garantiert noch einen Durchschlag eingefangen.
Pausen gibt’s nur noch kurz für Fotos, ich möchte noch bei guten Sichtverhältnissen meinen Zeltplatz finden und zudem wird es immer kälter.
Auf einer Höhe von 2200 m finde ich im Val dal Tschüvel einen Platz für die Nacht. Die Sonne ist hier schon länger weg aber der Wind hält sich zum Glück zurück, so dass ich das Zelt noch aufstellen kann ohne meine Finger abzufrieren. Dann ab in trockene Kleider und sofort ins Zelt, für einen Abendspaziergang reicht weder die Kraft noch Wärme.
Das gibt’s bei mir eigentlich nie: Ich habe schlicht keine Kraft mehr, um noch was zu essen. Auch kein Zähneputzen oder Wasser lösen.
Mein Quilt muss ich bei den Füssen zuknöpfen und seitlich jede Lücke schliessen – mein Big Agnes ist nicht wirklich für kalte Nächte gebaut. Nach gut einer Stunde habe ich dann endlich warm. Es schläft sich aber nicht so gut wie auch schon, einmal bewegt öffnet sich irgendwo ne Lücke beim Quilt und ich werde gleich wieder wach, weil ich kalt habe. Bei diesen Temperaturen wäre ein Schlafsack vielleicht schon besser…

Um halb sieben meldet sich der Tag zurück: Die Morgensonne ist einfach die Rettung nach einer kalten Nacht! Da vergisst man die kalten Momente im Nu. Mit Brot und Müesli stärke ich mich für die Abfahrt ins Engadin.

Die Fahrt runter ins Engadin startet der Sonne entgegen, die Morgenstimmung ist einmal mehr grandios! Irgendwann habe ich dann auch wieder Empfang mit meinem Handy und ich kann meinen Liebsten ein Lebenszeichen zukommen lassen. (Das nächste mal, wenn ich so was ‘Unvernünftges’ mache, werde ich mein Garmin InReach dabei haben, das entspannt mich und meine Familie).
Aber sonst gilt die alte Binsenwahrheit: ‘Es sind die verrückten und unvernünftigen Dinge im Leben, die am meisten Spass machen!’