Das Gewitter will einfach nicht abziehen! Ich habe bewusst einen späteren Zug nach Locarno gewählt, weil gemäss SwissMeteo der Regen dort erst gegen 12 Uhr aufhört. Um 14:30 Uhr sitze ich immer noch im Ristorante weil’s draussen noch regnet. Auf dem Niederschlagsradar lässt sich aber erkennen, dass es sehr lokal ist, also ab in den Bus nach Bignasca.

Und wirklich: Als ich etwa um 16 Uhr in Bignasca starte, regnet es tatsächlich nicht mehr. Die Strassen sind zwar noch nass und Nebelschwaden verdecken die Sicht nach oben. Ich werde ausnahmsweise mal sehr lange auf der Strasse fahren. Ab Bignasca geht’s gemütlich bergauf. Autos stören hier nur sehr selten bei meiner Fahrt nach Prato-Sornico wo ich ein Zimmer gebucht habe.

Am nächsten Tag dann das versprochene schöne Wetter: Ich freue mich auf die Fahrt zum Stausee Lago del Nareth, obwohl alles Strasse ist. Kurz nach Strato-Sornico geht es dann auch wirklich bergauf, anfänglich etwas steiler, dann eigentlich ganz gemütlich bis zu meinem ersten Halt in Fusio. Draussen vor dem Hotel geniesse ich an der Morgensonne einen Kaffee und ein Cola.

Als Biker fahre ich grundsätzlich nur ungern auf Autostrassen. Nicht aber hier im Valle Maggia: Die ganze Strecke ist ein Genuss! Ich bin schlicht begeistert von dieser Strasse und vergesse dabei fast, dass es stetig aufwärts geht. Nach dem ersten Stausee, dem Lago del Sambuco geht’s dann vorbei an Alpweiden und vielen Bächen: Wasser kommt hier fast überall den Berg runter!
Nach Grasso di Dentro geht es dann nochmals ein bisschen steiler hoch zu den nächsten Stauseeen, welche dann doch schon auf 2000m liegen. Hier wechselt dann die Landschaft nochmals deutlich: Das satte grün der Alpweiden weicht langsam aber sicher dem grauen Gestein alpinen Landschaft.

So gegen den Mittag habe ich es dann zum Lago del Nareth geschafft. Während ich beim See noch was Kleines zu mir nehme wird die Spannung immer grösser: Mit dem Passo del Nareth erwartet mit ein Übergang mit experimentellen Charakter. Gemäss Erfahrungsbericht im Internet kann man von der Passhöhe hinunter zur Alpe Cristallina nur etwa 30 Prozent fahren. Und dieser Bericht bezieht sich ja nicht auf ein ungeferdertes Surly mit Bikepacking Ausrüstung.
Ich bin echt gespannt, was da auf mich zukommt!
Nur schon das Hochstossen macht mich richtig kaputt, diese gut 130 hm haben es wirklich in sich: Ich muss mein voll beladenes Biker zum Teil tragen, was ich nur selten tue. Gefühlt sind das 300 hm!
Wie dem auch sei, ich bin nun auf der Passhöhe und nach vielen Stunden hochtrampeln geht’s ja schon bald bergab. Die vielen Höhenmeter haben aber Spuren hinterlassen: Ich bin schon recht müde. Für eine richtige Pause ist es mir aber zu kalt.

Um’s gleich vorweg zu nehmen: Die Abfahrt ist schon schwierig! Ich muss diverse mal absteigen bei groben Stellen. Es ist definitiv mehr ein Bergweg als ein Biketrail. Nichts desto trotz kann ich sicher mehr als die Hälfte fahren, meine Duro Crux Reifen lassen mich auch hier nicht im Stich. Allerdings ist es schon sehr ruppig ohne Federgabel, meine Hände lassen grüssen.
Nach dem ersten harten Teil mache ich unten im Val Torta eine Pause. Ich koche mir eine Nudelsuppe und geniesse das Gefühl, den schwierigsten Teil hinter mir zu haben.
Dieses Gefühl trügt aber: Bis hinunter zur Alpe Cristallina muss weiter sehr fokussiert gefahren werden. Ich komme aber auch hier ohne Sturz hinunter, muss aber schon das eine oder ander mal absteigen und mein Bike nach unten führen.

Nach der Alpe Cristallino geht es nochmals ein bisschen hoch zur Folcra di Mezzo, danach folgt Genussbiken in schönster Umgebung. Ich fahre jetzt den Höhenweg auf der südliche Seiten des Val Bedrettos; immer etwa auf 1700-2000 müM. Hier sind die Wege gut ausgebaut oder gerade am entstehen: Der Wanderweg wird hier gerade in einen Bike-und Wanderweg ausgebaut. Als Ostschweizer macht das schon Eindruck!
Irgendwann gegen 18 Uhr muss ich dann aber kapitulieren: Die Kraft reicht nicht mehr und ich stehe vor einem guten Zeltplatz auf einer Höhe von knapp über 2000m.
Also wird das Zelt aufgestellt, eine feines Nachtessen gekocht und danach noch eine kleine Wanderung zum nächsten Fluss gemacht, damit ich genügend Wasser habe für die Nacht.

Am nächsten morgen geht es mit einem Müsli im Bauch weiter über den gut ausgebauten Weg bis San Giacomo. Bis hierhin ist alles für Biker ausgebaut. Von San Giacomo bis hin zur Corno-Hütte ist es dann eher ein Wanderweg als ein Biketrail. Aber landschaftlich und auch fahrtechnisch echt interessant. Ich gönne mir erst bei der Corno Hütte die erste Pause mit Ziegenkäse und Kaffee: Ich möchte den Corno Pass noch vor dem Mittag hinter mich bringen, da das Gewitterrisiko wieder zunimmt.

Von der Hütte hoch zum Corno Pass muss ich wieder mehrheitlich stossen. Diverse Schneefelder müssen noch überquert werden. Die Temperaturen sind relativ tief: Die Sonne wärmt nur noch selten da schon wieder viele Wolken aufgezogen sind.
Kurz nach dem Pass hole ich mir noch einen Durchschlag vorne und muss mit kalten Fingern den Schlauch wechseln. Geht aber recht flott und nach dem Pumpen habe ich schon fast wieder warm.

Vom Corno Pass geht’s dann auf schönen Trails runter ins Obergoms. Wirklich toll, was man da alles fahren kann! Ich muss nur etwa 50m auf der Passstrasse fahren, alles andere sind Singletrails und Kieswege bis hinuter nach Ullrichen.
Bevor ich wieder in den Zug steige, fahre ich noch ein wenig das Obergoms hinunter. Immer wieder schön dieses Tal zu erleben. In Reckingen gibt’s dann noch das verdiente Bier zum Abschluss. Schön war’s!
